Die Kunst des vorurteilsfreien Fragens: Fünf Aspekte, die Sie kennen sollten
Eine gute Beziehung ist etwas Großartiges. Im Privatleben weiß jeder, was dafür zu tun ist. Man setzt sich zusammen, spricht miteinander und teilt Erlebnisse. Nähe und Distanz loten wir dabei mit Feingefühl aus: Wir haben ein Gespür, was wir dem anderen anvertrauen können, so lange wir uns noch nicht wirklich kennen. Auch die Spielregeln sind uns klar: Jeder weiß, dass Offenheit Risiken birgt: Man gibt etwas von sich preis und macht sich verletzbar.
Im Berufsleben ist es ähnlich. Erfolgreiche Führungskräfte nehmen sich Zeit, um mit Kollegen und Mitarbeitern zu sprechen. Sie stellen Fragen und hören genau zu. Wer ohne Vorurteile fragt, gibt dem anderen vorübergehend Macht über sich. Der Fragende verschenkt Aufmerksamkeit und riskiert, verletzt zu werden. Im Austausch dafür erfährt er etwas, das er zuvor nicht wusste.
Ehrliche, neugierige und vorurteilsfreie Fragen sowie das Eingeständnis, nicht alles zu wissen, sind die wichtigsten Zutaten für gute Beziehungen. Das ist der Kern von Humble Inquiry, dem vorurteilsfreien Fragen. Initiator und Ideengeber für dieses Konzept ist der Management- und Organisationspsychologe Professor Edgar Schein. Er schreibt dazu:
“Humble Inquiry is the fine art of drawing someone out, of asking questions to which you do not already know the answer, of building a relationship based on curiosity and interest in the other person.”
Das Wichtigste in Kürze
Humble Inquiry steht für die Kunst, gute Fragen zu stellen. Die Fragen müssen vor allen Dingen offen und vorurteilsfrei sein.
Humble Inquiry erfordert einen bewussten Umgang mit Fragen. Rhetorische Fragen, Suggestivfragen oder provozierende Fragen sind im Kontext von Humble Inquiry sinnlos, da der Fragende in Wahrheit keine Antwort sucht und Vertrauen zerstört wird.
Humble Inquiry ist eher eine Haltung als Technik. Fragen sind zwar die wichtigste Zutat, aber im Einzelfall kann auch Schweigen das Richtige sein. Wenn es den Gesprächspartner ermuntert, von sich zu sprechen, ist es das Passende im rechten Moment. Neben den Fragen können auch Körpersprache, Stimmlage oder aufmerksames Zuhören Offenheit und echtes Interesse ausdrücken und unterstreichen. Was zählt, sind wohlwollende Neugier und Offenheit.
Humble Inquiry bedeutet Geben und Nehmen: Der Fragende gibt etwas von sich preis. Im Austausch dazu erfährt er etwas. Er vermeidet es, den anderen zu übervorteilen oder zu ignorieren, und öffnet damit das Tor für ein vertrauensvolles Verhältnis. Beim Gesprächspartner wächst die Bereitschaft, Vertrauen zu schenken, da er sich gehört, wertgeschätzt und anerkannt fühlt.
Humble Inquiry profitiert von der Entschleunigung. Die Antwort auf eine Frage braucht manchmal Zeit. Zudem warnen die Vertreter von Humble Inquiry davor, voreilig Schlüsse zu ziehen. Auch der Fragende sollte sich Zeit nehmen, um die Situation als Ganzes zu erfassen und nicht etwa reflexhaft zu urteilen.
Quelle: Humble Inquiry - Vorurteilsloses Fragen als Methode effektiver Kommunikation. Edgar H. Schein. 2016. EHP Verlag. Edition Humanistische Psychologie.