Kreative Haltung braucht einen offenen Geist
Wie Führungskräfte ihr kreatives Potential wecken und wie Teams davon profitieren
Von Birgit Dierker, CHANGE 4 SUCCESS
Überall diskutieren wir über agiles Arbeiten: Wie schaffen wir es, unser Verhalten an die Bedingungen unserer Zeit anzupassen?
Die Frage ist mehr als berechtigt: Ein großer Teil der Führungskräfte hat eine Ausbildung in der Betriebswirtschaft, Jura, Psychologie, Ingenieurswissenschaften oder in der IT absolviert. Führungskräfte haben gelernt, ein Problem sachlich richtig zu beschreiben und eine fachlich einwandfreie, folgerichtige Lösung zu erarbeiten: korrekt und zuverlässig.
Ein Profi schafft das. So die allgemeine Vorstellung. Wer sein Ziel verfehlt, der ist eben keiner.
Oder nicht? Im agilen Kontext sind wir alle aufgefordert, zu experimentieren und Fehler zuzulassen. Dies verursacht einen Aufruhr. Es ist geradezu eine Paradigmenwechsel. Führungskräfte fragen sich: Wie soll das gehen? Wer hat bereits Erfahrung gesammelt?
Es lohnt sich, auf Berufsgruppen zu schauen, die traditionell agil arbeiten. Allen voran sind das die Künstler.
Drei Charakteristika künstlerischer Arbeit
Ebenso wie Führungskräfte meistern Künstler komplexe Aufgaben. Doch ihre Haltung und ihre Herangehensweise unterscheidet sich fundamental vom klassischen Führungsideal:
- Hohe geistige Flexibilität
Widersprüche sind für sie weder erschreckend noch stellen sie einen Makel dar. Vielmehr sind sie interessant, weil sie zu einem Perspektivwechsel auffordern: Lassen sich die Widerprüche verbinden? Welche Varianten sind dabei denkbar? Welche Ressourcen sind greifbar und womit können sie arbeiten? Ein Künstler betrachtet scheinbare Gegensätze aus verschiedenen Blickwinkeln, wertfrei und mit einem offenen Mindset. - Offenheit für den kreativen Prozess
Zu Beginn wissen auch Künstler nicht, wohin sie ihr neues Projekt führen wird. Keinesfalls kommen sie auf die Idee, die selbstgesetzte Aufgabe nach einem festen Plan zu erarbeiten. Stattdessen öffnen sie sich dem kreativen Prozess: Sie wissen, dass einer neuen Lösung eine Inkubationszeit voran geht. Sie gehen iterativ vor und lassen sich von Fehlversuchen nicht irritieren. Überhaupt ist ihre Frustrationstoleranz hoch. Ihr Arbeitsmodus ist: an einer Aufgabe arbeiten und wieder loslassen. Sie vertrauen darauf, dass ihr Unbewusstes weiter aktiv ist. - Abstand nehmen, abstrahieren
Künstler lassen gewohnte Sichtweisen los. Sie klammern nicht. Lieber treten sie einen Schritt zurück und nehmen Abstand. Dieses „disszoziieren“ ermöglicht ein fluides Denken sowie Flexibilität.
Kreativität bedeutet: Etwas Neues zu schaffen. Oder auch: abstrahieren, verfremden und neu zusammen setzen. Kreativität ist auf keinen Fall an ein festes Berufsbild geknüpft.
Eine gute Führungskraft ist ein Führungskünstler
Die Vorstellungen davon, wie Künstler arbeiten, sind oft romantisch verklärt. Wahr ist, dass Kreativität ein Prozess von Experiment und Variation ist, bis das Ergebnis stimmt. Zwischenschritte sind notwendig und keine Fehler. Kreativität ist oft harte Arbeit.
Jeder von uns kann so etwas. Die Frage ist, inwieweit wir es uns erlauben, der Führungsarbeit eine künstlerische Seite abzugewinnen.
Die Auseinandersetzung lohnt, denn Kreativität motiviert. Kreativität ist etwas, das den Menschen im Innersten ausmacht. Wenn sich Führungskräfte diesem Geist öffnen und selbst so arbeiten, motivieren sie ihre Mitarbeiter. Denn mit der Öffnung für einen kreativen Prozess öffnen wir Räume für die Mitgestaltung. Darauf kommt es an.
Birgit Dierker ist executive Coach, Trainerin, Moderatorin und zugleich Künstlerin. In ihrer Person treffen 20 Jahre Führungserfahrung, Vertriebskompetenz in der Telekommunikations- und Medienbranche auf kreative Schaffenskraft. Ihre Stärke liegt darin, die Leichtigkeit des Seins wieder zu entdecken und das am besten in der inspirierenden Umgebung ihres Ateliers.