Effektiv und konfliktarm: Virtuelle Teams führen nach allen Regeln der Kunst
Die Vorteile virtueller Teams liegen auf der Hand:
- Mitarbeiter können sich selbst organisieren und damit Beruf und Familie besser vereinbaren. Viele Mitarbeiter motiviert es, wenn sie ihre Fahrtzeiten reduzieren können und weniger Pendeln müssen.
- Unternehmen sind dank der virtuellen Zusammenarbeit in der Lage, qualifizierte Mitarbeiter mit geringem Aufwand in ihr Team zu integrieren. Die Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg ist – technisch gesehen – ebenfalls einfach.
Doch was im ersten Moment so attraktiv wirkt, erweist sich auf den zweiten Blick als anspruchsvolle Aufgabe:
- In virtuellen Teams treffen unterschiedlichste Erwartungen und Kulturen aufeinander: Erwartungen, die jeder Einzelne mitbringt, die Unternehmenskultur sowie die Herkunfts- und Landeskultur spielen eine Rolle.
- Den Mitarbeitern stehen verschiedenartige Arbeitsumgebungen zur Verfügung, je nachdem, ob sie sich am Arbeitsplatz im Unternehmen, im Homeoffice, in einem Hotelzimmer oder in einem Workspace zuschalten.
- Auch die Bereitschaft, sich auf kollaborative Kommunikationstools und generell auf virtuelle Zusammenarbeit einzulassen, ist unterschiedlich. Mitarbeiter kommen verschieden gut damit zurecht.
Angesichts der Vielfalt verwundert es wenig, dass ein Großteil der virtuellen Teams seine selbst gesteckten Ziele verfehlt. Je nach Studie und Fragestellung sollen 60 bis 80 Prozent aller Teams scheitern. Was also ist zu tun?
Keith Ferrazzi hat virtuelle Teams erforscht und beobachtet. Das sind seine Schlussfolgerungen:
Die zentralen Erfolgsfaktoren virtueller Teams
Das richtige Team
Menschen
Der Erfolg eines virtuellen Teams steht und fällt mit den Menschen. Nicht jeder kommt gleich gut mit dem virtuellen Arbeitsstil zurecht.
Achten Sie bei der Auswahl Ihrer Mitarbeiter auf folgende Eigenschaften: gute kommunikative Fähigkeiten, hohe emotionale Intelligenz, Fähigkeit zu unabhängigem Arbeiten, hohe Eigenmotivation sowie Resilienz gegenüber den täglichen Widrigkeiten. Im internationalen Kontext zählen außerdem Taktgefühl sowie ein Bewusstsein für die Andersartigkeit anderer Kulturen.
Bei der Auswahl der Mitarbeiter helfen Persönlichkeitstests. Sie sind zudem nützlich, um Defiziten und absehbaren Schwächen von vornherein etwas entgegen zu setzen.
Teamgröße
Manche Projekte erfordern Teamgrößen von mehr als 100 Personen. Doch die Erfahrung lehrt, dass erfolgreiche Teams sehr viel kleiner zugeschnitten sind. Die Obergrenze liegt bei zehn Personen.
Je größer das Team, je größer ist die Versuchung, sich hinter dem Rücken eines Kollegen zu verstecken. Das Gefühl der eigenen Verantwortlichkeit sinkt.
Zudem bedeutet es in großen Teams einen enormen Aufwand, gute Arbeitsbeziehungen zwischen allen Mitarbeitern herzustellen. Für fünf Mitglieder reichen zehn Unterhaltungen aus, bei 13 Personen sind bereits 78 Unterhaltungen nötig – so die Beobachtung des Harvard-Professors für Psychologie Richard Hackman.
Rollen
Was ist zu tun, wenn Projekte mehr als zehn Köpfe erfordern? In diesem Fall empfiehlt es sich, Sub-Teams zu installieren. MIT Professor Deborah Ancona hat mit ihrer X-Team-Strategie eine Vorschlag für die Struktur einer solche virtuellen Organisation erarbeitet. Sie unterscheidet:
- Das innere Team: Es trägt die Verantwortung für die Strategie.
- Das operationale Team: Hier fallen die Entscheidungen für die tägliche Arbeit. Strategische Entscheidungen sind ausgeklammert.
- Der weitere Kreis: Gemeint sind Mitarbeiter, die nur gelegentlich aktiv sind, weil sie zum Beispiel als Experten spezialisierte Aufgaben verantworten.
Excellent Leadership
Vertrauen fördern
Vertrauen gründet auf Respekt und Empathie. Deshalb sollten Sie Ihr Team ermutigen, Kontakt aufzunehmen und miteinander zu sprechen. Initiieren Sie einen Austausch über die Hoffnungen, die die Mitarbeiter an das gemeinsame Projekt knüpfen und darüber, was sie selbst beisteuern wollen. Auch wie sie bevorzugt arbeiten, ist ein wichtiger Aspekt. Den eigenen Arbeitsplatz zu filmen und ihn den Kollegen vorzustellen, ist eine schöne, ergänzende Idee.
Vertrauen wächst laufend, Schritt für Schritt. Seien Sie sich dessen bewusst und widmen Sie den ersten fünf Minuten eines jeden Meetings der Frage, wie die einzelnen Mitarbeiter in ihrem Aufgabenbereich voran gekommen sind und was es Neues gibt. Die Frage nach den Neuigkeiten hat neben dem Vertrauensaufbau einen zweiten positiven Effekt: Sie wirkt der Isolation entgegen.
Zu offenem Dialog ermutigen
Mit einem offenen Dialog haben Ihre Mitarbeiter möglicherweise schlechte Erfahrungen gemacht. Ermuntern Sie sie deshalb ausdrücklich dazu.
Gesprächsmuster für wertschätzende Kritik sind ebenfalls nützlich. Eine weitere hilfreiche Übung ist, pro Konferenz einen Verantwortlichen zu benennen, der auf das achtet, was nicht gesagt wird, und eingreift, wenn der Diskurs aus dem Ruder läuft.
Ziele und Richtlinien klären
Management-Vordenker werden nicht müde die Bedeutung gemeinsamer Visionen und Ziele zu betonen. Doch es reicht nicht, diese einmal zu verkünden. Suchen Sie den Austausch mit jedem Mitarbeiter und sprechen darüber, was das gemeinsame Projekt für ihn im besten Fall bedeuten kann.
Eröffnen Sie Ihre Meetings immer mit ein paar Worten darüber, weshalb das Team gerade jetzt zusammen kommt und worin das Ziel des Treffens liegt.
Eine weitere Quelle für Ärgernisse ist die Erwartung, dass etwas selbstverständlich ist, nach dem Motto: „Darüber muss man doch nicht extra reden!“, wenn etwa ein Mitarbeiter nach seinem Empfinden zu lange auf eine Antwort warten musste.
Entwickeln Sie als Gegenmaßnahme gemeinsame Richtlinien für die Kommunikation – zum Beispiel über die Erreichbarkeit oder Antwortzeiten. Dies reduziert die Unsicherheit im Team. Auch Multitasking während eines Conference Calls sollten Sie von Beginn an unterbinden.
Die richtigen Touchpoints
Kickoff
Für ein erstes Treffen kommen Sie am besten persönlich zusammen. Der direkte Austausch ist als Auftakt nicht zu toppen. Wo dies nicht möglich ist, sollten Sie auf eine Videokonferenz ausweisen. Auch eine Videokonferenz erlaubt den Augenkontakt und einen Eindruck von der Körpersprache der Kollegen. Ihre Mitarbeiter brauchen diesen ersten Vertrauensschub, um miteinander an den Start gehen zu können.
Dies kann jedoch nur der Anfang sein. Vertrauen benötigt dauerhaftes Engagement – wie gesagt.
Einen neuen Mitarbeiter integrieren
Zu oft passiert es, dass neue Mitarbeiter den übrigen einfach per E-Mail vorgestellt werden. Doch die Information, dass es einen Neuen oder eine Neue gibt, ist zu schmal.
Sehr viel günstiger ist es, wenn Sie den Neuankömmlingen die gleiche Aufmerksamkeit widmen wie dem ganzen Team. Treffen Sie sich also gemeinsam in der Zentrale, wenn Sie es irgendwie einrichten können. Manche Teams haben gute Erfahrungen damit gemacht, für den oder die Neue einen Mentor zu benennen.
Meilensteine
Aufbruchstimmung zu erzeugen, ist die leichtere Übung, verglichen mit der Aufgabe, ein Team dauerhaft zu motivieren und stets das Beste zu geben.
Die täglichen kleinen Reibereien bewirken ein schleichendes Auseinanderfallen des Teams. Mit wöchentlichen Calls und E-Mail-Updates kommen Sie kaum dagegen an.
Nehmen Sie deshalb Zwischenziele zum Anlass, zusammen zu kommen und den Erfolg zu feiern oder Probleme zu diskutieren.
Die richtige Technologie
Conference Calls
Für Mitarbeiter, die sich von unterwegs zuschalten, sind Conference Calls ohne Zugriffs-Code am komfortabelsten. Eine automatische Aufnahme oder eine automatische Transkription haben sich zusätzlich als sinnvoll und hilfreich erwiesen. Wichtig sind auch One-to-One sowie Gruppenfunktionen. Fortgeschrittene Systeme zeigen sogar an, wie viel jeder spricht und zuhört.
Anrufe und Textnachrichten
Direkte Anrufe sind einfach und nach wie vor wirkungsvoll. Ergänzende Textnachrichten sind erstaunlich effektiv, um Beziehungen aufrecht zu erhalten.
Diskussionsforen und Virtuelle TeamRooms
Die Mitarbeiter brauchen einen Ort, an dem sie Hindernisse zur Sprache bringen und mit Kollegen diskutieren können. Die besten Lösungen kommen oft aus einem Winkel, mit der niemand rechnet. Deshalb sind solche Systeme besonders wertvoll, die es einfach machen, einen Impuls von außen einzubinden.
Quelle: Keith Ferrazzi, Getting Virtual Teams Right, https://hbr.org/2014/12/getting-virtual-teams-right