Die Zukunft ist schon da, wir müssen sie nur erkennen
Wer auf den heutigen Märkten an der Spitze stehen will, braucht Ideen. Wirklich neue Ideen. Ein Satz, leicht gesagt und schwer umzusetzen: Wie sollen sie entstehen – diese radikal neuen Ideen?
Claus Otto Scharmer hat dazu die Theorie U entwickelt. Er sagt: Die Zukunft ist bereits da. Wir können sie noch nicht greifen, denn sie hat sich noch nicht manifestiert. Doch als Keim ist sie bereits existent. Wir müssen Wege finden, um die Zukunft zu erspüren und zu formen.
Die Quelle, aus der er schöpft, ist die Gemeinschaft. Als Kollektiv verfügen wir über eine gewaltige Summe an Erfahrungen und sehr viel Knowhow, sagt er. Es liegt an uns, uns aufeinander einzulassen und den Austausch zu suchen.
Wie viel Aufmerksamkeit schenken Sie? Wie viel Dialog lassen Sie zu?
Aufmerksamkeit ist eines der zentralen Anliegen der Theorie U. Scharmer unterscheidet vier Stufen des Zuhörens:
Downloading
Beim Downloading sucht der Zuhörende vor allem nach Bestätigung für seine Denk- und Verhaltensmuster. Neuem gegenüber ist er verschlossen. Eigentlich hört er gar nicht richtig zu, sondern filtert Stichworte, um zu antworten. Mit diesem Verhalten bleibt er den Mustern der Vergangenheit verhaftet. Eine Weiterentwicklung ist unmöglich. Im Downloading sind wir mit unserem Interesse nur auf uns selbst fokussiert.
Faktisches Zuhören
Der Zuhörende konzentriert sich auf die Fakten: Was weißt du? Was weiß ich? Wo liegen die Gemeinsamkeiten? Wo die Unterschiede? Im Faktischen Zuhören fokussieren wir mit unserem Interesse die Sache. Hier ist der IQ - die rationale Intelligenz - aktiv.
Empathisches Zuhören
Beim empathischen Zuhören verlässt der Zuhörende die Ebene der Fakten und spürt der Innenwelt des Gesprächspartners nach: Was motiviert diesen? Was bedeutet das Gesagte für ihn? Zusammen mit der Offenheit für die Perspektive des anderen kann echter Dialog entstehen. Im emphatischen Zuhören fokussieren wir mit unserem Interesse unser Gegenüber. Unser EQ - die emotionale Intelligenz - ist hier gefordert.
Presencing: Zukunft erspüren
Presencing ist ein Moment der Offenheit und des Gleichklangs. Die Gesprächspartner nehmen ihn als Gefühl der tiefen Verbundenheit wahr. Sie lassen sich von ihrer Intuition leiten und spüren, dass sich ein Fenster öffnet und der Blick frei wird für etwas Größeres. Presencing beschreibt - als Kunstwort in der Zusammensetzung aus "Presence" und "Sensing" - die Präsenz im Hier-und-Jetzt und die Offenheit zum Hinspüren auf das, was sich entwickeln kann. Im Presencing gilt unser Interesse der gemeinsamen Gestaltung der Zukunft. Unser SQ - die soziale & spirituelle Intelligenz - ist hier gefragt.
Haben wir den Mut, uns zu unserer Intuition zu bekennen?
In den meisten Unternehmen ist es ungewöhnlich, über Gleichklang und Verbundenheit zu sprechen. Das ist doch viel zu emotional! Zu sehr dominiert oft noch die Kultur von Zahlen, Daten, Fakten und rationaler Logik.
Doch eines müssen wir uns klar machen: Mit den Denkmustern von gestern kommen wir den Anforderungen der disruptiven Welt nicht bei. Die Theorie U versucht, einen schöpferischen Austausch zwischen Menschen zu kultivieren.
In der Business-Welt ist ein solcher Gedanke ungewöhnlich. Doch in Wahrheit ist nichts Neues daran: Schöpferische Geister haben schon immer auf allen Ebenen gedacht: intellektuell, emotional und intuitiv.
Erlebt hat es jeder schon einmal
Ohne Zweifel gehört Vertrauen dazu, sich zu öffnen und von Presencing-Momenten zu berichten. Ist der Damm jedoch gebrochen, wird deutlich, dass jeder schon einmal eine solche Erfahrung gemacht hat. Ein Teilnehmer in einem unserer Seminare, eine Führungskraft, hat folgende Geschichte erlebt:
Ein neuer Mitarbeiter ist in die Abteilung gekommen. Er scheint fachlich exzellent doch menschlich ein herausfordernder Fall zu sein - zumindest hat er innerhalb des Unternehmens schon öfter die Abteilung gewechselt. Die Führungskraft verabredet sich mit ihm zum Kennenlern-Gespräch. Hohe Erwartungen hat sie nicht. Vorbereitet sind zwei Fragen.
Zum Auftakt fragt die Führungskraft: Wie geht es dir?
Der neue Kollege fängt an zu erzählen: Wie es ihm in den anderen Abteilungen ergangen ist. Was er sich gewünscht und was er tatsächlich bekommen hat. Wie das Miteinander mit Kollegen war ...
Dann kommt die zweite Frage: Was ist das Beste, was in unserer Abteilung für dich passieren kann?
Der neue Kollege erzählt, was er sich für die jetzige Abteilung wünscht.
Während der Kollege zu den Fragen eins und zwei erzählt, kommt die Führungskraft aus dem Staunen nicht heraus: Was für eine Leidensfähigkeit dieser Mitarbeiter mitbringt! Während seiner Laufbahn hat er reichlich Kröten geschluckt. Nichtsdestotrotz ist er mit dem Herzen bei der Sache und sprüht vor Ideen. Es sind gute Ideen - sogar sehr gute!
Schon wenig später sind einige in die Tat umgesetzt. Ohne die vorurteilsfreie Aufmerksamkeit der Führungskraft wäre das Potential verborgen geblieben: Der Mitarbeiter wäre die nächste Frust-Runde geflogen und das Unternehmen hätte nicht profitieren können.
Was genau war hier das Erfolgsgeheimnis?
Sich selbst für einen Moment zurücknehmen. Die eigenen Ziele zurückstecken. Anderen den Raum geben, sich zu öffnen, zu erzählen, sich zu entfalten. Das ist das Erfolgsgeheimnis der Theorie U.
Lesetipp
Ideengeber zur Theorie U ist Claus Otto Scharmer, Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und Gründer des Presencing Institute of Cambridge. Mehr zu seiner Theorie und zu seinen Thesen für unsere Wirtschaftskultur finden Sie auf seiner Webseite: http://www.ottoscharmer.com.
Oder lesen Sie sein Buch: C. Otto Scharmer, Theorie U: Von der Zukunft her führen: Presencing als soziale Technik, https://www.carl-auer.de/programm/artikel/titel/theorie-u-von-der-zukunft-her-fuehren/