Freitag, 19.26 Uhr, Universitätsklinikum Frankfurt. Ein Schlaganfall-Patient wird eingeliefert. Jetzt zählt jede Minute, denn das therapeutische Zeitfenster ist schmal. Mit jeder Minute sinken für den Patienten die Chancen auf völlige Genesung. Jetzt müssen die Abteilungen optimal zusammenarbeiten: der Rettungsdienst, die Neuroradiologie, die Anästhesie, die Chirurgie. Wenn die Handgriffe sitzen, die Prozesse optimal eingespielt sind und die Beteiligten einander blind vertrauen können, hat der Patient die besten Aussichten, denn dann vergeht am wenigsten ungenutzte Zeit.
In extremen Fällen, wo es um Leben und Tod geht, ist die Bedeutung von Vertrauen und Geschwindigkeit offensichtlich. Langwierige Diskussionen? Kleinteilige Kontrollen? Schlecht für den Patienten: Er hätte kaum Chancen zu überleben.
Im CHANGE 4 SUCCESS-Team, haben sich u.a. Hilmar Linse und Robert Klein auf Crew Ressource Management bzw. Team Ressource Management (CRM/TRM) und Human-Factors-Trainings spezialisiert. Hilmar Linse, passionierter Hochsee-Segler und Robert Klein, Major der Deutschen Bundeswehr und Pilot der Luftwaffe wissen aus eigenem Erleben: Krisenhafte Situationen haben meist wenig mit mangelnder Fachkompetenz zu tun. Es fehlt an der richtigen Kommunikation. Hat ein Co-Pilot den Mut und das Standing, den Chef-Piloten auf einen Fehler hinzuweisen? Wenn nicht, kann es zu schrecklichen Unfällen kommen.
Nicht umsonst sagt man, dass die meisten Fehler zwischen den Ohren der Piloten passieren. Der "Human Factor" spielt eine entscheidende Rolle. Genau deswegen sind Human-Factors-Trainings insbesondere in High-Reliability-Organisations absolut erfolgskritisch.
Im Crew und Team Resource Management heißt es daher - ebenso wie im Human Factors Training
- NOT: Who ist right?
- BUT: What is right?
Bei der Frage nach schnellen und richtigen Entscheidungen kommt es vor allem auf Non-Technical-Skills an:
- Situative Aufmerksamkeit: Liegen alle notwendigen Informationen vor? Sind sie systematisch recherchiert?
- Weltsichten: Welche Sichten treffen im Team aufeinander? Wie prägen sie die individuellen Entscheidungen? Kann sich das Team aufeinander einstellen?
- Kooperation: Wie ist es um die Fähigkeit und Bereitschaft zur Kooperation bestellt?
- Führen und Folgen: Ist allen bekannt, wer welche Aufgaben übernimmt? Sind die Teammitglieder bereit, zu führen und zu folgen?
Die Notfall-Ambulanzen vieler Kliniken und auch die Berufsfeuerwehren vieler deutscher Großstädte - u.a. München und Nürnberg - haben sich deshalb bereits für ein CRM-Training entschieden.
Unser Erbe
Auch wenn es in Ihrem Unternehmen nicht ganz so dramatisch zugeht: Komplexität und Innovationsdruck fordern ihren Tribut. Die Wettbewerbsfähigkeit der Organisation steht und fällt mit ihrer Reaktionsgeschwindigkeit, Reaktionsfähigkeit und Flexibilität. Prozessoptimierung ist dabei eine wichtige Sache. Ebenso wie vertrauensvolle Zusammenarbeit innerhalb der Teams.
„Vertrauen ist eine Vorleistung, die auf guten Erfahrungen in der Vergangenheit basiert“, hat ein schlauer Kopf gesagt. Eine spannende Sache, dieses Vertrauen: Danach gefragt, finden wir es alle gut. Wenn es jedoch um die Umsetzung geht, ist jeder einzelne aufgefordert, einen Schritt zu wagen. Und dann wird es oft eng.
In vielen Unternehmen gehört ein solches Szenario noch immer zum Alltag: Es ist etwas schief gegangen. Ein Fehler ist passiert. Die Mitarbeiter sind beim Chef zum Appell angetreten. Dieser haut mit der Faust auf den Tisch und verlangt lückenlose Aufklärung. „Ich erwarte, dass das nicht wieder passiert!“ Alles klar, das sitzt. Im Magen der Mitarbeiter krampft es sich zusammen. Sie senken die Köpfe und hoffen, dass der Sturm über sie hinweg geht und sie mit heiler Haut davon kommen. Je weniger offene Flanke sie zeigen, umso besser. In einem hierarchischen System ist das die klügste Handlungsalternative. Ob das Problem je behoben wird, bleibt offen. Genau genommen ist es sogar unwahrscheinlich, denn jemand müsste einen Fehler einräumen. Sehr gefährlich so ein Verhalten!
Wie aber wäre genau dieses Szenario der offenen Fehlerkultur? Wieder ist es zu einem Fehler gekommen. Mitarbeiter und Vorgesetzte sitzen gemeinsam am Tisch. „Was ist schief gegangen? Wie kam es dazu? Was lernen wir daraus? Was machen wir in Zukunft anders, damit es nicht wieder passiert?“ fragt der Vorgesetzte.
Er macht deutlich, dass er den Ablauf und die Zusammenhänge verstehen will. Ob er Antworten erhält, hängt von seiner Beziehung zu seinen Mitarbeitern ab. Wenn sie ohne Angst vor Sanktionen sprechen können, hat er beste Chancen zu den Ursachen vorzudringen und den Ursprung des Fehlers abzustellen.
So viel Offenheit steht unserem hierarchischen Erbe entgegen. Aus diesem Grund ist Offenheit in den Unternehmen noch längst nicht die Regel. Unausgesprochen hält sich die Idee, dass eine ranghöhere Person keine Fragen stellt. Sie weiß ganz einfach Bescheid. Generell ist Wissen hoch geachtet. Eine Professorin oder ein Professor steht deshalb im allgemeinen Ansehen weit oben. Etwas zu erklären und zu lehren, hebt den Status. Auch wer in einem Gespräch eine clevere Bemerkung macht, kann sich profilieren.
Beziehungskünstler genießen weit weniger Anerkennung: Beziehungen aufzubauen und zu pflegen, genießt wenig Wertschätzung. Deshalb wundert es nicht, dass Führungskräfte – zumindest im traditionellen Bild – an Beziehungen wenig Interesse haben. Doch der Mangel an Interesse dürfte schon bald auf sie zurückfallen: In der modernen Unternehmenswelt sind sie darauf angewiesen, dass ihre Mitarbeiter bereit sind, mit ihnen zu sprechen. Wie anders sollten sie sonst erfahren, wo der Hase im Pfeffer liegt? Alles alleine wissen zu wollen, ist illusorisch. Und: "Oben wird gedacht, unten wird gemacht" - das war einmal.
Wie Vertrauen entsteht
Das ist doch interessant! Wir streben nach Exzellenz, in einer technologisierten, digitalen, vernetzten Welt – und kommen auf so etwas Urmenschliches wie Vertrauen zurück. Das Lagerfeuer unserer Vorfahren lässt grüßen!
Wie aber entsteht noch gleich Vertrauen?
Im Deutschen „verschenken“ wir Vertrauen. Vertrauen will man spüren. Es einsteht, wenn wir uns erklären, etwas von uns selbst erzählen, etwas Persönliches preisgeben, vielleicht sogar von einem Missgeschick berichten.
Vielerorts kultivieren Unternehmen dieses Sich-Öffnen inzwischen in „Fuck-Up Nights“
In Fuck-Up-Nights oder Fuck-Up-Sessions berichten Führungskräfte und Teams von ihren größten Fehlern - UND von dem, was sie daraus gelernt haben. Haben Sie den Mut zur Fuck-Up-Session?
Wer von seinem Thron herunter kommt, zeigt den Wunsch nach Augenhöhe an. Einem solchen Menschen können sich andere öffnen. Wie immer ist zugleich Fingerspitzengefühl gefragt. Offenheit und geschmacklose Direktheit sind zweierlei. Sie sollten den anderen weder peinlich berühren noch überfordern. Machen Sie sich am besten klar, was Sie in einer gegebenen Situation erreichen wollen und erzählen Sie situationsgerecht von sich.
Quelle: Vertrauensforschung im Interview, managerSeminare Heft 224
Lese-Tipp: Skalpell & Steuerknüppel, Süddeutsche Zeitung, 29.12.2017