„Herrjeh, schon wieder ein Problem! Und wer ist schuld: Der XYZ, natürlich!“
Die Reaktion ist so alt wie die Menschheit: Wenn etwas nicht funktioniert wie gedacht, neigen wir dazu, äußere Umstände verantwortlich zu machen – die Kollegen, die Konkurrenten, die Presse, die Launen des Marktes, die Regierung.
Das Denken in Systemen zeigt jedoch, dass es kein „draußen“ gibt: Wir und die Ursachen des Problems sind Teile desselben Systems. Wenn ein „Feind“ am Horizont auftaucht und wir ein Problem mit ihm haben, liegt der Schlüssel für das Verständnis in der Beziehung zu ihm.
Lösungsorientierte Fehlerkultur: Den Blick nach vorne richten
Wenn wir Fehler für einen Moment als den so empfundenen „Feind“ betrachten: Wie verfahren wir mit ihm?
Stellen Sie sich als Beispiel eine breit angelegte Marketing-Kampagne im Online-Handel vor. Unter dem Besucher- / Käufer-Ansturm fällt die Plattform vorübergehend aus.
Wie würden Sie reagieren? Sie haben die Wahl: Sie können sich über den Erfolg der Kampagne und den Kundenansturm freuen. Meist wird jedoch der Schuldige dafür gesucht, dass die Plattform zusammengebrochen ist.
Eine lösungsorientierte Fehlerkultur legt den Fokus darauf, nach vorne zu denken und zu fragen:
- Was lernen wir daraus?
- Was tun wir, damit das (so) nicht wieder passiert?
- Im konkreten Beispiel wäre demnach zu prüfen
- Wie viele Klicks oder Besucher hält die Plattform aus?
- Wie hoch war der maximale Besucher-Ansturm im Verlauf der Kampagne?
- Wie gehen wir damit um? Lösungen sind zum Beispiel die Kapazität auf das Doppelte des höchsten Besucheransturms zu erweitern oder künftige Marketing-Kampagnen in Teile zu splitten.
Fehler als menschlich akzeptieren
Es geht jedoch um mehr als eine positive Grundhaltung und die Frage, ob das Glas halb voll oder halb leer ist. Der Abgas-Skandal bei VW ist ein prominentes, keinesfalls aber einzigartiges Beispiel für eine verfehlte Fehlerkultur und ihre Folgen.
Nach Ansicht von Professor Jan Hagen von der European School of Management and Technology Berlin sind vor allem hierarchische Organisationsstrukturen gefährdet. Er sagt: Hierarchien sind wahnsinnig effizient, wenn es darum geht, Entscheidungen zu fällen. Aber wenn man in die falsche Richtung rennt, geht es eben manchmal auch mit Volldampf ins Verderben.
Die Ursache sieht er darin, dass in Hierarchien der Informationsfluss von unten nach oben oft blockiert ist. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Hagen nennt als Beispiele:
- Macher-Ausstrahlung der Führungskraft
Führungskräfte mit einer ausgeprägten Macher-Ausstrahlung vermitteln das Gefühl, dass sie wissen, was sie tun. Dies verleitet Mitarbeiter dazu, dass sie Anweisungen einfach befolgen und nicht mehr hinterfragen. - Angst vor einem Versager-Image
Die Akzeptanz der eigenen Fehlbarkeit und die Fähigkeit, Schwächen einzugestehen, ist bei vielen Führungskräften schwach ausgeprägt. Sie haben Angst, ihr Gesicht zu verlieren. Deshalb leugnen Sie ihre Fehler und vertuschen sie nach Kräften. Zugleich prägen sie damit allerdings die Kultur in ihren Unternehmen: Wenn „die da oben“ nichts zugeben, dann tun es die Mitarbeiter auch nicht. - Fehler negativ bewerten und bestrafen
Die meisten Unternehmen haben ein Qualitätsmanagement installiert. Die darin liegende Idee ist, dass sich Fehler vermeiden lassen, wenn genug und die richtigen Regeln aufgestellt werden. In dieser Gedankenwelt werden Fehler negativ bewertet und oft genug bestraft. Jeder Mitarbeiter, jede Führungskraft wäre geradezu dumm, einen Fehler zuzugeben.
Die Alternative liegt darin, Fehler als Lernchance zu akzeptieren, und ihnen offen zu begegnen. Sie zeigen uns an, wo wir besser werden können.
Rückfragen als Umweg beurteilen
Die Offenheit gegenüber Fehlern hat einen zweiten positiven Effekt: Sie macht uns schneller. Je früher Fehler offenbar werden, desto schneller kann man an ihnen arbeiten. Direkt nach Fehlern zu fragen, ist deshalb klug.
Doch bereits das Fragen-Stellen bewerten viele Führungskräfte als Zeitverschwendung und Zeichen von Schwäche. Wer fragt, hat keine Ahnung, glauben sie. Das Signal, das sie an ihre Mitarbeiter senden, heißt: Desinteresse an der Kommunikation über schwierige Themen. Damit laufen sie Gefahr, Wichtiges nicht zu erfahren.
In einer solchen Gemengelage entsteht eine Atmosphäre von Angst. Mitarbeiter vermeiden Rückfragen und versuchen zu erraten, was ihre Führungskräfte wollen und denken. Informationen über Fehlentwicklungen bleiben verborgen.
Im Ergebnis werden Führungskräfte tatsächlich von Fehlentwicklungen überrascht. Meist wird im Rückblick deutlich, dass die Informationen in Prinzip vorhanden waren. Sie sind nur auf dem Weg nach oben auf der Strecke geblieben.
Anonymisierte Fehlermeldungen als Work-Around
Führungskräfte sind deshalb gut beraten, wenn sie eindeutig kommunizieren, dass sie über Fehler und Fehlentwicklungen informiert sein wollen.
Wenn Fehler über lange Zeit hinweg tabuisiert wurden, lässt sich die bestehende Unternehmenskultur nicht so leicht in Richtung Offenheit ändern. Für eine Übergangszeit sind in diesem Fall anonyme Fehlermeldungen sinnvoll. Erfahrungsgemäß funktionieren sie jedoch nur dann, wenn die Meldungen wirklich bleiben und wenn die Meldungen erkennbar aufgegriffen und bearbeitet werden.